Dienstag, 19. Juni 2018

Ich muss einen Sch*** - Und das ist verdammt gut so!

Heute war ich mal wieder beim Sport. Und es war echt schlecht :D

Normalerweise gehe ich total gerne zum Sport und ziehe dann auch bis zu zwei Stunden voll durch. Seit ich vor zwei Wochen aber wieder angefangen habe zu arbeiten, war ich nicht mehr im Studio. Hab es irgendwie nicht untergebracht. Und als ich dann heute wieder da war hab ich ziemlich schnell gemerkt: Irgendwie passt die Tagesform nicht. Ich bin müde, meine Beine fühlen sich trotz Aufwärmens nicht gut an und irgendwie will der Fokus sich nicht richtig einstellen. 
Noch vor einem Jahr hätte ich trotzdem weiter gemacht. Hätte mich durchs Training gequält, mir vielleicht noch richtig wehgetan, weil die Technik einfach nicht richtig gepasst hätte und wäre dann super sauer nach hause gefahren. Der Tag wäre gelaufen gewesen.

Heute habe ich einfach ein bisschen rumgetrödelt, geschaut was sich gut anfühlt und als ich gemerkt habe, dass ich nichts finde was wirklich passt bin ich gegangen. Und warum? Weil ich’s kann! Weil ich nicht trainieren muss, wenn ich nicht will! Genau wie ich eigentlich gar nichts muss, wenn ich keine Lust habe. 

Bis zu dieser Einstellung hat es allerdings lange gedauert. Ich bin mit sehr starren Glaubenssätzen aufgewachsen.

"Du musst einen möglichst guten Schulabschluss machen und einen möglichst guten, sicheren Job ergreifen."

"Du musst immer fleißig sein und arbeiten."

"Du musst auf deine Figur achten."

"Du musst erst einen festen Job haben und heiraten, bevor du Kinder bekommen kannst."

"Du musst deinen Mitmenschen alles recht machen, damit sie dich mögen. Sonst lassen sie dich fallen."

"Wenn Besuch kommt, muss die Wohnung blitzeblank sein."


So weit, um nur einige davon zu nennen.
Geführt haben diese Glaubenssätze dazu, dass ich mich in einem völligen Selbstoptimierungswahn aufgerieben habe. Schließlich hatte ich nicht die Wahl das alles zu tun. Ich musste (!!!) es tun. Unabhängig davon, ob ich es wollte. Nicht, dass ich gewusst hätte was ich wollte. Das habe ich mich lange Zeit tatsächlich nie gefragt.

Ich drillte mich durch zwei Jobs, machte nebenbei eine Zusatzausbildung, Diät und unheimlich viel Sport. Ich war erfolgreich, dünn und trotzdem völlig unzufrieden mit mir selbst, weil ich es nicht noch nebenbei hinbekam einen 100-köpfigen Freundeskreis zu unterhalten. Abgesehen davon, dass ich weder zeit noch Energie für meine Familie, meinen Freund und die fünf echten Freunde gefunden habe die ich damals hatte, habe ich es Menschen aber auch wirklich schwer gemacht sich mit mir anzufreunden. Ich war so verkrampft und habe mich verbogen um jedem zu gefallen, dass meinem Gegenüber das in der Regel recht schnell aufgefallen ist.

Ich war so unheimlich hart zu mir selbst. Selbst als ich krankgeschrieben war und zwei Versuche wieder arbeiten zu gehen darin geendet hatten, dass ich bei der Arbeit weinend zusammenbrach brauchte es nur drei gute Tage damit in meinem Kopf Sätze wie „geh´ gefälligst wieder arbeiten du  faules Stück Scheiße“ aufploppten. Kein Witz! So habe ich mit mir gesprochen. Und ich habe nicht verstanden, was die Therapeuten in der Klinik daran so seltsam oder bedenklich fanden.

Als sie mir sagten ich müsste lernen „Mitgefühl“ mit mir selbst zu entwickeln klang das für mich zunächst einfach nur nach Selbstmitleid und Schwäche. Heute weiß ich, dass es bedeutet, einfach auf mich selbst zu hören. Nett zu mir zu sein. Und zu erforschen, was ich tatsächlich möchte. Was mir am Herzen liegt und wie ich leben will. Und zwar, weil es sich gut anfühlt und nicht weil „man“ es so macht. Wer sagt eigentlich, dass „man“ etwas so oder so machen soll? „Die Leute“? Wer sind die denn? Ich kenne die nicht. Und ich kenne auch „man“ nicht mehr.
"Wochenendausgang" aus der Klinik -
Besuch mit Papa im Schmetterlingspark

Ich habe gelernt, dass ich ziemlich wenig „muss“. Das einzige was ich „muss“ ist, die Konsequenzen meiner Entscheidungen zu tragen. Und hier ist die Frage für welche Konsequenzen ich mich entscheide.
„Entscheiden“ ist hier das entscheidende (haha) Wort. Denn es gibt mir die Macht zurück. Holt mich aus der Opferrolle. Es liegt bei mir, ob ich mich für die eine, oder die andere Handlungsalternative entscheide. 
Ich gebe euch einen Tipp: Versucht mal, jedes Mal wenn ihr denkt, dass ihr etwas tun „müsst“ oder nicht tun „könnt“ müssen und können durch wollen zu ersetzen. 

Nicht: Ich kann mir keinen Urlaub nehmen.
Sondern: Ich möchte mir jetzt keinen Urlaub nehmen, weil ich lieber über Weihnachten frei habe.

Nicht: Ich muss heute auf die Familienfeier.
Sondern: Ich möchte heute auf die Familienfeier, weil ich weiß, dass meine Omi sich dann sehr freut.

Natürlich wird dadurch nicht alles rosarot, aber es gibt euch die Verantwortung für euer Leben und eure Entscheidungen zurück. Natürlich müsst ihr nicht zu Omi´s Familienfeier. Ihr müsst nur damit leben können, dass Omi vielleicht enttäuscht ist, weil ihr lieber auf der Couch bleibt. 
Durch diese Art zu denken könnt besser abwägen, ob eure Motive so relevant sind, dass ihr aus freien Stücken nach ihnen handeln wollt.

Ich für meinen Teil weiß nun zum Beispiel, dass das althergebrachte Bild vom ehelichen Kind nicht der Schlüssel zum Glück für mich sein muss, nur weil das nach wie vor der gesellschaftlich propagierte Weg ist. Sicher finde ich die Vorstellung irgendwie schön, aber ich würde mich (sollte es passieren) auch aktuell schon freuen und mich nicht mehr dafür schämen eine unverheiratete Mama zu sein.

Mittlerweile gehe ich gern wieder mit Freunden weg.
Ich habe nicht das Gefühl, dass es eine weitere Pflicht ist.

Wie in den großen Fragen bemühe ich mich ich diese Art zu denken auch in die kleinen Dinge zu übertragen:

Ich muss nicht ständig zum Sport und da voll durchziehen. Ich darf auch mal unmotiviert sein und eine schlechte Tagesform haben. Weil ich nicht die beste sein muss, nicht das meiste Gewicht stemmen können muss. (Wer bitte schön würde mir dafür schon einen Preis verleihen?)
Ich muss bei der Arbeit nicht immer super produktiv sein. Ich darf meine Aufgaben auch mal einen Tag später erledigen.
Ich muss nicht jeden Cent zur Seite legen. Ich darf mir auch mal was gönnen.

Generell und um wieder auf den Blogtitel zurückzukommen: Ich muss einen Scheiß! :D

Bei allen diesen Dingen von denen ich dachte, dass ich sie unbedingt muss habe ich festgestellt, dass rein gar nichts (!!!) passiert, wenn ich sie mal nicht tue. Im Gegenteil. Wenn ich sie mal nicht tue, bin ich in der Regel viel schneller wieder auf dem Damm, viel motivierter, produktiver, entspannter und glücklicher als wenn ich mich durch die Tiefs quäle. Und es passiert auch nichts, wenn ich mal eine Verabredung, oder Omis Familienfeier absage. Denn jeder hat mal keine Lust ;)
Durch diese Art die Dinge die ich tue auszuwählen und zu bewerten finde ich Stück für Stück mehr zu mir selbst. Finde raus, was ich will, was mich erfüllt und glücklich macht. Abseits von Erwartungen und vom vom Mainstream.
Ich kann im Umgang mit anderen Menschen entspannter sein, weil ich nicht dafür sorgen muss das sie mich mögen. Es passiert nichts, wenn sie es nicht tun. Und was soll ich sagen? Seit ich mehr ich und dabei viel entspannter bin komme ich (welch Überraschung) viel besser mit anderen klar. Und wenn ich das mal nicht tue, fühle ich mich viel sicherer dabei auch mal einen Konflikt mit meinen Mitmenschen auszutragen. Ich bin nicht mehr davon abhängig was „die Leute“ von mir denken, weil ich besser weiß wie ich von mir denke.

Daher kann ich heute ganz entspannt sagen, dass es heute für mich nicht der Tag zum Sport machen war. Ich wollte einfach nicht. Ich muss niemandem die Schuld geben und es ist auch nicht schlimm.

Freitag ist wieder Training. Vielleicht will ich ja dann :D
Ich würde mich sehr über eure Gedanken und Erfahrungen zu dem Thema freuen :)

Wer auch immer ihr seid und wo auch immer ihr von mir lest, ich wünsche euch ganz viel Sonne!

5 Kommentare :

  1. Hey miss_bluejay ! Eine super Seite und eine wirklich sehr schöne Idee ! Eigentlich wollte ich nur mal kurz reinlesen, aber habe es letztendlich nicht geschafft aufzuhören zu lesen.....Man findet sich doch in recht vielen Sachen wieder.....

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  2. Ich finde den Post auch super schön und hoffe auf mehr Posts dieser Art weil sie einem ein gutes Gefühl geben und zum nachdenken anregen :)

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  3. Wunderschön geschrieben. Ich bin eigentlich nur zufällig über deinen Artikel gestoßen, aber habe mich auch oft wiedererkannt. Ich habe einen 40h Job, gehe am Wochenende bei verschiedenen Events noch arbeiten und baue mir gerade nebenbei noch ein Standbein als Virtuelle Assistentin auf. Dazu kommen "Pflichten" wie Familie, die man nicht vernachlässigen möchte und der Partner, der das hoffentlich noch eine Weile so duldet.

    Ich hoffe die Zukunft entwickelt sich nicht noch schneller und der Druck kann erstmal ein wenig von allen abfallen, anstatt immer mehr zu werden. Auszeiten muss man sich nehmen und sollte diese nicht allzu lang vor sich herschieben.

    Ich finde deinen Artikel mit den ehrlichen & offenen Worten super und hoffe du fühlst dich noch lange wohl, mit deinem neuen Lebensstil. :)

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    1. Hi!
      Danke für deine lieben Worte <3
      Ich hoffe, du bist bei deinem Pensum trotzdem entspannt. Pass gut auf dich auf :-)

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  4. Finde ich toll, dass du zu einer positiveren Einstellung gekommen bist, auch wenn der Weg dahin sicher sehr hart und schwierig war!
    Ich mache mir auch gern mal Druck, aber versuche den dann gleich wieder rauszunehmen, wenn er nicht notwendig ist (wie eine Deadline). Das macht das Leben so viel angenehmer!

    -Kati
    Almost Stylish

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