Das hier wird wohl mein persönlichster Post bisher. Dennoch ist es mir super wichtig über dieses Thema zu schreiben und ihr werdet in Zukunft auch noch mehr hierüber von mir lesen.
Wie in meinem allerersten Post auf diesem Blog schon angedeutet, wird es hier unter anderem auch viel um Essen und Sport gehen. Beides ist bei mir mittlerweile untrennbar mit meiner Depression, beziehungsweise meinem Burnout verbunden und daher super emotional besetzt. Denn ich bin in eine Falle gelaufen, in die reinzustolpern in nie für möglich gehalten hätte: Eine Essstörung.
Ich habe immer gern gegessen. In meiner Familie hatte auch nie jemand Ahnung von gesunder Ernährung und ich war (nachdem ich in die Pubertät gekommen war) auch nie übermäßig dünn. Zum Glück hatte ich einen super Stoffwechsel, sodass ich auch nie wirklich dick geworden bin, obwohl Frittiertes und Überbackenes meine besten Freunde waren.
Da mir die Gefahren der klassischen Essstörungen immer bewusst waren und meine Finger zu kurz und mein Widerwille zu groß sind um mir den Finger in den Hals zu stecken (habe ich mit etwa 15 Jahren einmal versucht), hielt ich mich nie für gefährdet, mal ein Problem mit dem Essen zu entwickeln.
Nachdem ich dann vor einigen Jahren begonnen habe mich immer mehr mit Kraftsport und der dazugehörigen Ernährung auseinander zu setzten bin ich durch den entsprechenden Freundeskreis immer tiefer in den Fitness-Lifestyle „hineingerutscht“. Ich mag es, wenn meine Kraftwerte steigen, ich eine neue Übung meistere und ich die Muskeln die ich ansprechen wollte nach dem Training auch tatsächlich fühle.
Eine Freundin von mir, die mega viel Ahnung von der ganzen Fitness-Thematik hatte, machte zu dieser Zeit quasi ständig Diät und hatte wahnsinnige "Erfolge" damit zu verzeichnen. Sie machte immer sehr strukturierte Sport- und Ernährungsprogramme, die jeweils 20 Wochen liefen. Ende des Jahres 2016 beschloss ich also, mich ihr Anfang 2017 für eine neue Runde anzuschließen.
Wie in jedem Bereich meines Lebens wollte ich auch hier alles geben. „Wenn schon, denn schon“. Ich wollte voll durchziehen. Meine Erfolge und meinen Fortschritt genau dokumentieren. Das Programm bestand im Prinzip aus Mahlzeiten die nach Kalorien, Nährstoffen und Uhrzeiten sehr genau geplant werden mussten. Außerdem aus vier Krafteinheiten pro Woche und einer steigenden Anzahl von Minuten, die pro Woche Cardio gemacht wurde, während gleichzeitig die Kalorien reduziert wurden.
So kam es, dass ich etwa im März 2017 noch um die 1200kcal pro Tag aß und neben Arbeit und Sport noch 200 Minuten pro Woche laufen ging. Parallel plante ich Einkäufe, bereitete meine Mahlzeiten vor und führte Excel-Tabellen mit Diagrammen über meinen Trainingsfortschritt, meine Mahlzeiten, aufgenommene und verbrannte Kalorien sowie die täglichen Entwicklungen und Schwankungen meines Gewichtes.
Wisst ihr was passiert, wenn man das lange genug macht? Wenn man 1200kcal zu sich nimmt, während man 2000-2400kcal pro Tag verbrennt?
Nun, ich kann euch sagen was mir passiert ist: Ich bin kaputt gegangen. Sowohl psychisch, als auch körperlich.
Ich habe irgendwann nur noch an Essen gedacht. Habe alle meine Mahlzeiten mit Wasser, Blumenkohl, oder Kartoffelfasern gestreckt um irgendwie satt zu werden. Abends habe ich einen riesigen Kübel Salat gegessen, um abends wenigstens nicht hungrig ins Bett zu gehen. Statt dessen schlief ich dann mit Bauchschmerzen.
Wusste ich, dass das nicht gesund war? Naja, zumindest habe ich es mir nicht eingestanden. „Die Entwickler des Programms wissen schon, was sie tun“. „Andere ziehen das doch auch durch“. „Es ist ja nicht für ewig“. Zunächst wurde ich dünner. Ich nahm bei einer Körpergröße von 171cm und einem Stargewicht von 63kg innerhalb von etwas mehr als drei Monaten 6kg ab, während meine Kraftwerte durch das Training stiegen. Doch ich war auch unkonzentrierter, gereizter, hatte keine Lust mehr auf Verabredungen, habe häufig wegen Kleinigkeiten geweint.
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Alles ganz genau festhalten war Pflicht - nach 16 Wochen bin ich zum Glück ausgestiegen. |
Ich habe einen Kloß im Hals beim Schreiben dieser Zeilen, weil die Erinnerung immer noch weh tut. Mittlerweile tut mir dieser gequälte Wesen, das ich damals war, so unheimlich leid.
Ich hatte einen BMI von 21, was deutlich in der unteren Hälfte des Idealgewichts liegt, und ich fand mich nicht schön. Ich dachte, nur ein flacher Bauch könnte mich für meinen Freund attraktiv machen, der zu dieser Zeit nicht müde wurde mir jeden Tag das Gegenteil zu versichern. Aber ich habe ihn nicht gehört. Wollte ihn nicht hören. Wollte es mir beweisen. Und wollte es meiner Mutter beweisen, die in meinem Kopf immer wieder sagte, dass ich halt „auf meinen Bauch aufpassen müsse“. Dass ich ihn immer schön mit weiter Kleidung kaschieren solle…
Irgendwann, als ich mal wieder weinte, weil mein Abendessen sich nicht vom Backblech löste wurde mir klar; irgendetwas läuft so überhaupt nicht richtig. Ich muss zum Arzt. Mein Gynäkologe stellte dann fest, dass mein Körper die Produktion weiblicher Hormone völlig eingestellt hatte. Kein Östrogen, kein Progesteron. Zitat: „Ihr Hormonhaushalt ist nicht wie in den Wechseljahren, er ist wie bei einer 80jährigen.“ Bums! Das saß!
Zu dieser Zeit konnte ich dann auch irgendwann nicht mehr arbeiten, wurde krankgeschrieben. Es war klar, irgendwas muss passieren. Ich fing an, wieder mehr zu essen. Schrittweise. Aber erstmal Erhaltungskalorien. Bloß nicht zunehmen. Ich habe auch weiter Tabellen geführt um das bloß kontrollieren zu können. Kalorienaufnahme, Kalorienverbrauch, Nährstoffe, Gewichtsentwicklung. Wie viel muss ich noch laufen, damit ich heute Abend eine Scheibe Brot essen kann?
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Mein Ernährungstagebuch im Mai ´17. Schon lange ausgestiegen aus dem Programm und die Kalorien schon deutlich erhöht. Aber bei einem Verbrauch von 2000-2.400kcal pro Tag immer noch deutlich (!) im Defizit.
Diese Form der Essstörung nennt sich Sportbulimie. Betroffene kotzen ihr Essen nicht aus. Sie trainieren es zwanghaft wieder ab. Heute weiß ich das. Damals war es für mich normal.
Aufgehört mich zu wiegen habe ich in der stationären Therapie. Weil ich da nicht konnte. Auch mein Essen konnte ich nicht abwiegen. Zum Teil nicht mal selbst zubereiten. Das fiel mir erst echt schwer.
Seitdem stand ich nicht mehr auf einer Waage. Ich habe fast Angst davor. Angst, dass mir nicht gefällt was ich sehe und dass ich wieder in zwanghafte Muster verfalle. Denn der Drang dazu ist da. Immer wieder. Ich versuche Intuitiv zu essen und Sport zu machen. Weil ich weiß, dass ich das muss. Weil zu viel Kontrolle nicht gut für mich ist und weil ich die wieder komplett an mich reißen würde, wenn ich nur ein kleines bisschen damit anfange.
Finde ich mich attraktiv? Ja, meistens :-)
Bin ich mit meiner Figur zufrieden? Im großen und ganzen absolut! Ich weiß, dass es mir den Preis nicht wert wäre den ich bezahlen müsste, wenn ich wieder versuchen würde große Veränderungen herbeizuführen.
Ist es trotzdem schwer? Und muss ich mich immer wieder daran erinnern? Definitiv!
Mein Körper produziert nach wie vor keine weiblichen Hormone. Ich nehme Progesteron, Östrogen, ein Schilddrüsenhormon und Vitamin D künstlich zu mir. Außerdem bekomme ich ab und an Eisenspritzen. Ich habe mir selbst durch meinen Optimierungswahn schwere Schäden zugefügt. Nur, weil ich auch optisch „perfekt“ sein wollte. Was auch immer das bedeutet.
Ich denke, ihr habt jetzt einen kurzen Eindruck gewonnen. Natürlich gibt es zu dem Thema noch viel zu sagen. Viele Gründe, die bis dahin geführt haben, viele Gefühle die damit verbunden sind. Doch für heute soll es gut sein.
Berichtet mir gern von euren Erfahrungen und Gedanken zu dem Thema.
Wer auch immer ihr seid und wo auch immer ihr von mir lest ich wünsche euch ganz viel Sonne!
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